Den Sinn im Leben (wieder) finden
Wer ein Burnout durchlebt oder in einer Krise steckt, dem stellt sich oft zwangsläufig die Frage nach dem Sinn im Leben. Wer Antworten auf diese existenzielle Frage will, muss sich Zeit nehmen, darüber nachzudenken. Doch die Suche nach dem Sinn lohnt sich, wie die Forschung zeigt.
In einer Krise beschäftigen einen zunächst viele ungelöste Fragen: Wie konnte es soweit kommen, dass ich ausgebrannt und ohne Zukunftsperspektive bin? Bin ich den rasanten Entwicklungen und Anforderungen in meinem Beruf noch gewachsen? Passen die Visionen und Ziele meines Unternehmens überhaupt noch zu mir? Wie kann ich den (hohen) Erwartungen an mich selbst, meiner Familie bzw. meines Umfelds gerecht werden? Was sind meine Werte und kann ich danach leben? Und was möchte ich in den kommenden Jahren noch verwirklichen, um eines Tages auf ein sinnerfülltes Leben zurückschauen zu können?
«In einer Sinnkrise wird schmerzhaft deutlich, dass Sinn kein Luxus ist.
Er ist nicht die Sahne auf dem Kuchen, kein Extra, das unser Leben bereichert.
Sinn ist fundamental, er ist der Grund dafür, warum wir morgens aufstehen.»
(Tatjana Schnell und Kilian Trotier)
Wer Antworten auf diese persönlichen und existenziellen Fragen sucht, der muss sich Zeit nehmen, darüber nachzudenken. Und er muss sich auf einen – manchmal auch langen – Weg begeben. Ganz im Sinne des Ursprungs des Wortes «Sinn» aus dem indogermanischen «sent», was so viel wie «eine Richtung einschlagen, eine Fährte suchen», bedeutet.
Die eigenen Sinnquellen entdecken
Zum Glück gibt es auf diesem Weg auch fundierte Unterstützung, z.B. in Form des Buchs «Sinn finden. Warum es gut ist, das Leben zu hinterfragen» von Tatjana Schnell und Kilian Trotier. Die Psychologie-Professorin Tatjana Schnell, und ihren KollegInnen haben in zahlreichen qualitativen Interviews und weiteren Studien 26 Sinnquellen ermittelt, die für den Menschen bedeutsam sind. Diese werden seit fast zwei Jahrzehnten bei Abertausenden von Menschen in mehr als dreissig Ländern abgefragt. Die zehn grössten Sinnstifter sind:
Generativität (die Lebenshaltung, etwas von bleibendem Wert zu tun oder schaffen zu wollen)
Religiosität
bewusstes Erleben
Spiritualität
Harmonie
Fürsorge
Gemeinschaft
Entwicklung
Gesundheit
Soziales Engagement
Um sinnerfüllt zu leben, ist es jedoch gefährlich, alles auf eine Karte zu setzen. Es geht also darum, eine gewisse Breite und Balance an Sinnquellen im Leben zu haben. Die psychologische Forschung hat vier Elemente herausgearbeitet, die für das Sinnerleben entscheidend sind. Als erstes ist dies Orientierung: Ich brauche einen inneren Kompass, ein Wissen darüber, wohin ich will. Das zweite ist die Bedeutsamkeit: Ich empfinde mich bedeutsam, wenn ich etwas bewegen kann und mein Dasein Konsequenzen hat. Als drittes folgt die Kohärenz. Diese finden wir, wenn wir uns selbst sein können und das, was uns ausmacht, auch in die Tat umsetzen können. Und letztlich geht es um die Zugehörigkeit. Soziale Beziehungen sind eine wichtige Quelle dafür. «Im existenziellen Sinn erlebe ich Zugehörigkeit, wenn ich einen Platz habe auf dieser Erde», schreiben Schnell und Trotier.
Kleine Schritte und Wille zur Veränderung
Im letzten Kapitel geben die beiden AutorInnen konkrete Hinweise, wie man sich den Sinn erschliessen kann. Sie plädieren für kleine Schritte, aber auch dafür, eigene Vorhaben wirklich umsetzen zu wollen. Ein Ansatzpunkt kann die Beschäftigung mit den 26 Sinnquellen sein. Allein mit sich, im Gespräch mit anderen Menschen oder auch begleitet durch Sinnmacher, eine von Tatjana Schnell und ihrem Team entwickelte digitale Plattform.
Denn: «Sinn lässt sich nicht machen. Aber er beruht darauf, dass ich etwas mache. Nicht mit der Erwartung: ich habe etwas angeblich Sinnvolles getan, jetzt soll es mir bitte guttun. Sondern mit der Haltung, die fragt, was nötig ist: Wo kann ich mit dem, was ich bin und kann, einen Unterschied machen?»
Tatjana Schnell ist Professorin für Existenzielle Psychologie an der MF Specialized University Oslo in Norwegen. Seit über zwanzig Jahren erforscht sie die Frage nach dem Sinn. Kilian Trotier arbeitet bei der Wochenzeitung Die ZEIT und hat in den vergangenen Jahren diverse journalistische Projekte zum Thema Sinn lanciert und umgesetzt.
Das verständliche und doch sehr eloquent geschriebene Werk vereint auf über 300 Seiten die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Sinn. Es berührt zudem durch Portraits von Menschen, die Krisen durchlebt und Schicksalsschläge erfahren haben und dennoch ihren Sinn im Leben (wieder) gefunden haben.